• 17. November 2025

„The Awful German Language“ – Mark Twain und die Tücken der deutschen Sprache

Von Andrea Haarmann

„The Awful German Language“ – Mark Twain und die Tücken der deutschen Sprache

„The Awful German Language“ – Mark Twain und die Tücken der deutschen Sprache 750 500 Anne Fries
Dass Deutsch nicht ganz einfach ist, wusste schon der große Schriftsteller und Humorist Mark Twain. Er stellte bereits 1880 in seinem Essay The Awful German Language (zu Deutsch „Die schreckliche deutsche Sprache“) die These auf, „dass ein begabter Mensch Englisch (außer Schreibung und Aussprache) in dreißig Stunden, Französisch in dreißig Tagen und Deutsch in dreißig Jahren lernen kann“. Wie er zu dieser Einschätzung kommt, vermittelt er auf seine pointierte und scharfsinnige Art.

Vom ersten Enthusiasmus zur grammatischen Ernüchterung

Twain beginnt seinen Essay mit einer humorvollen Einleitung, in der er seine anfängliche Begeisterung für die deutsche Sprache beschreibt. Doch schnell wird klar, dass diese Begeisterung von der Realität der deutschen Grammatik und Syntax überschattet wird. Er steht oftmals vor einem „grammatikalischen Horoskop“, das es zu deuten gilt. Twain hebt dabei die Komplexität der Sprache hervor: Es gibt zehn Wortarten (Artikel, Substantive, Verben, Adjektive, Adverbien, Pronomen, Präpositionen, Konjunktionen, Interjektionen, Numeralien), die zudem noch mit vier verschiedenen Fällen (Nominativ, Genitiv, Dativ und Akkusativ) einhergehen, die viele Lernende als verwirrend und unlogisch empfinden. Hinzu kommt die Vielzahl an Regeln und Ausnahmen, die das Lernen der Sprache zu einer echten Herausforderung machen (es gibt mehr Ausnahmen als Beispiele für diese Regeln). Ein Beispiel bezieht sich auf ein Deutsch-Lehrbuch, das Twain studiert. In einer Lektion des Buches wird die Frage gestellt: „Wo ist der Vogel?“ Twain geht davon aus, dass die Antwort „Der Vogel wartet in der Schmiede wegen den Regen“ lauten müsse, da der Regen etwas Aktives macht, was auf Bewegung in eine Richtung und somit auf den Akkusativ hinweist. Allerdings folgt die Ernüchterung auf dem Fuße: „wegen“ erfordert den Genitiv, also „wegen des Regens“. Später erfährt er von einer Ausnahme, die es erlaubt, „wegen dem Regen“ zu sagen, aber diese Ausnahme gelte nur für Regen. Twains Verzagtheit in diesem Moment ist nur allzu gut nachvollziehbar; er fühlt sich, als ob er über Treibsand ginge, in dem man jeden Moment einzusacken droht.

Wortungetüme und Bandwurmsätze

Ein weiteres zentrales Thema des Essays sind die langen, zusammengesetzten Wörter, die im Deutschen häufig vorkommen und Nicht-Muttersprachlerinnen und ‑Muttersprachlern wiederholt Verständnisprobleme bereiten, da sie so in keinem Wörterbuch zu finden sind. Wie wäre es z. B. mit „Generalstaatsverordnetenversammlungen“? Hierzu muss man das Wort zunächst einmal zerlegen und erst dann kann man sich die Bedeutungen der einzelnen Wortbestandteile zusammensuchen – selbst für Muttersprachlerinnen und Muttersprachler eine Herausforderung!

Aber es bleibt nicht dabei – auch die elend langen, verschachtelten Satzkonstruktionen treiben die Lernenden oftmals zur Verzweiflung: Ein Satz kann durchaus 14 oder 15 verschiedene Themen enthalten, die kunstvoll durch Parenthesen eingeschlossen werden (also durch Kommas, Gedankenstriche und/oder Klammern); irgendwann kommt dann auch einmal das Verb, sodass man endlich erfährt, worum es überhaupt geht (oder vielleicht auch nicht, da das Dokument aufgrund der gebotenen Eile in den Druck gehen muss und der Satz ohne Verb auskommen muss 😉). Besonders schlimm sei es in Zeitungsartikeln, Bücher seien vergleichsweise einfach zu lesen, „wenn man sie vor einen Spiegel hält oder sich auf den Kopf stellt, um die Konstruktion herumzudrehen“, so Twain. Im Englischen als Zeichen schlechten Stils verpönt, sei es im Deutschen geradezu „ein Zeichen für eine geübte Feder“, derartige monströse Satzgebilde zu verfassen. Auch fällt Twain auf, dass sich in einem deutschen Satz Wörter durchaus wiederholen, was im Englischen ebenfalls vermieden wird.

Eine weitere Eigenheit des Deutschen sind – vergleichbar mit einer Parenthese – die trennbaren Verben. In einer Ansprache vor dem Wiener Presseclub am 21. November 1897 führt Twain aus, wie er die Brückengeländer der Stadt nutzt, um einen deutschen Satz in voller Länge überschaubar zu machen, indem er auf das eine Ende des Geländers das erste Glied eines trennbaren Verbs klebt und auf das andere Ende das Schlussglied heftet. Ein Beispiel hierfür ist das Verb „abreisen“: „Die Koffer waren gepackt, und er reiste, nachdem er …, ab.“ Dort, wo die Auslassungspunkte stehen, folgt eine schier endlose Aufzählung dessen, was besagter „er“ nun noch vor seiner Abreise tat. Im Englischen steht hier „He departed after …“ zu Beginn des Satzes, sodass sofort klar ist, um welches Verb es sich handelt.

Pronomenchaos und Deklinationswahnsinn

Das Thema Personalpronomen ist auch ein Kapitel für sich: Das Wort „sie“ z. B. bedeutet sowohl „you“, „she“, „her“, „it“, „they“ als auch „them“. Ein einziges Wort steht also für sechs Bezeichnungen, sodass Deutschlernenden nicht auf Anhieb klar ist, wer oder was nun gemeint ist. Die Beugung (Deklination) von Adjektiven gesellt sich noch dazu: Wo man im Englischen sowohl für den Singular als auch den Plural eine Form beibehält, wird im Deutschen „dekliniert und dekliniert und dekliniert […], bis aller gesunde Menschenverstand herausdekliniert ist“. Twain veranschaulicht das an folgendem Beispiel:

Singular

Nominativ: Mein guter Freund (my good friend)

Genitiv: Meines guten Freundes (of my good friend)

Dativ: Meinem guten Freund (to my good friend)

Akkusativ: Meinen guten Freund (my good friend) 

Plural

N.: Meine guten Freunde (my good friends)

G.: Meiner guten Freunde (of my good friends)

D.: Meinen guten Freunden (to my good friends)

A.: Meine guten Freunde (my good friends)

Das ist allerdings nur ein Beispiel für die männliche Form, es gibt ja auch noch die weibliche und die sächliche Form, also heißt es auch hier wieder, sich die Deklinationen entsprechend einzuprägen. Zu Twains Zeit gab es außerdem noch das (inzwischen veraltete) Dativ-e, z. B. „Ich gebe dem Hunde ein neues Zuhause“. Da das „-e“ aber auch beim Plural angehängt wird, steht der Nicht-Muttersprachler nun vor der Frage, ob er es mit einem oder zwei Hunden zu tun hat, sodass ihm ein findiger Verkäufer das Geld für zwei Hunde abluchst, er aber nur einen Hund bekommt, „da er diesen Hund unwissentlich im Dativ Singular kaufte, während er im Plural zu sprechen glaubte“.

Geschlechter-Wirrwarr: die grammatische Identitätskrise

Was Twain lobend hervorhebt, ist die Großschreibung von Substantiven im Deutschen, sodass man sie in einem Satz auf Anhieb findet. Zudem werden die Wörter meist auch so geschrieben, wie sie klingen – ein klarer Vorteil, wenn man bedenkt, wie schwierig es umgekehrt für manche Deutsche ist, bei einem englischen Diktat alle Wörter auf Anhieb richtig zu schreiben, da die Aussprache in der Regel deutlich von der eigentlichen Schreibweise abweicht. Bei den Substantiven selbst beklagt Twain allerdings den Umstand, dass das grammatikalische Geschlecht hier teilweise ohne Sinn und Methode verteilt ist, sprich, man muss zu jedem Substantiv das jeweilige Geschlecht auswendig lernen. Amüsiert stellt er fest, dass ein deutscher Mann glauben mag, er sei ein Mann, aber wenn man die verschiedenen grammatischen Geschlechter seiner Körperteile betrachtet, stellt sich heraus, „dass er in Wahrheit eine höchst lachhafte Mischung darstellt“ und „dass er sich da um nichts besser steht als irgendeine Frau oder Kuh im Lande“ – wobei anzumerken ist, dass Twains Kritik an der Verteilung der Geschlechter auch auf andere Sprachen bezogen werden kann, z. B. Französisch, Spanisch, Italienisch, Russisch und Latein.

Aber es bleibt nicht bei den Artikeln, das Substantiv selbst wird dann noch zusätzlich geändert: Aus „der Engländer“ wird „die Engländerin“, damit es dem Deutschen nach auch wirklich exakt ist. Im Englischen wäre das so, als ob man „the she-Englishwoman“ schreiben würde.

Bedeutungswandel und Sprachklang

Dann gibt es noch Wörter, die je nach Betonung ihre Bedeutung verändern, z. B. das Verb „umgehen“: Man kann mit einer Person umgehen oder man umgeht sie einfach. Hier hilft dann nur fleißiges Pauken und Einprägen.

Was Twain durchaus nützlich findet, sind gleichlautende Wörter, die je nach Kontext eine andere Bedeutung haben können und somit universell einsetzbar sind, z. B. die Wörter Schlag (Hieb, Stoß, Streich, Rasse, Haus [z. B. für Tauben], Lichtung, Feld, Enttäuschung, Portion, rasche Folge [wenn es zu „Schlag auf Schlag“ gedoppelt wird]) und Zug (Fortbewegungsform, Kennzeichen, Merkmal, Charaktereigenschaft, Teil des Gesichtsausdrucks, Neigung, Hang, Marsch, Prozession, Wagenreihe, Schublade, Luftströmung, Gespann, Richtung, Schwarm, Register [an der Orgel], Schluck, einen Vorgang beim Schachspiel und beim Atmen). Mit „Schlag“ und „Zug“ ist man somit – zusammen mit dem Füllwort „also“ – gut gewappnet, um jegliche Konversation erfolgreich zu führen.

Twain setzt sich auch mit der akustischen Wahrnehmung der deutschen Sprache auseinander. Er empfindet den Klang von deutschen Wörtern, die für Lautes und Ungestümes stehen, als „zahmer“ im Vergleich zum Englischen. „thunder“ klingt in seinen Ohren kraftvoller als „Gewitter“, ebenso „explosion“ im Vergleich zu „Ausbruch“. Insgesamt räumt Twain aber ein, dass die deutsche Sprache nicht zu übertreffen sei, was das Ausdrücken von Gefühlen betrifft. Selbst wenn jemand den Text eines deutschen Liedes nicht versteht, allein der Klang bestimmter Wörter wird sie oder ihn zu Tränen rühren.

Twains Reformideen: eine humorvolle Abrechnung mit der deutschen Sprache

Abschließend fasst Twain in einer acht Punkte langen, teilweise wohl nicht so ernst gemeinten Liste zusammen, wo er die deutsche Sprache für dringend reformierungsbedürftig hält (er bietet den damaligen Regierungen Deutschlands und Österreichs diesbezüglich sogar tatsächlich seine Dienste an):

  1. Den Dativ weglassen (das würde auch uns einige Zweifelsfälle der deutschen Sprache ersparen 😉)
  2. Das Verb im Satz weiter nach vorne holen, damit von vornherein deutlich wird, was das Subjekt im Satz macht
  3. Ein paar starke Ausdrücke aus dem Englischen importieren (was sich inzwischen erfüllt haben dürfte, da sich die deutsche Sprache heutzutage oftmals Anglizismen bedient, um hipper zu klingen)
  4. Neuordnung der Geschlechtszugehörigkeit bei deutschen Wörtern „gemäß dem Willen des Schöpfers“ (wobei er hier nicht genauer darauf eingeht, wie das praktisch aussehen könnte)
  5. Abschaffung langer zusammengesetzter Wörter (hier sind wir bereits auf einem guten Weg, auch wenn das Amtsdeutsch noch Bandwurmkonstruktionen bereithält wie die „Mittelfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung“, die am 1. Oktober 2022 in Kraft getreten ist)
  6. Wenn ein Satz beendet ist, sollen nicht noch unnötige Schnörkel wie „haben sind gewesen gehabt haben geworden sein“ angehängt werden (einen konkreten Beispielsatz nennt er hier nicht)
  7. Abschaffung von Parenthesen, also elend langen, verschachtelten Sätzen (wobei solche monströsen Satzkonstruktionen im Deutschen heute eh nicht mehr en vogue sind wie zu Twains Zeit)
  8. Schließlich würde er „Zug“ und „Schlag“ mit allen ihren Anhängseln behalten und das übrige Vokabular abschaffen 😉

Fazit

Twains scharfer Witz und seine ironische Betrachtungsweise machen den Text besonders lesenswert. Er schafft es, die Frustration, die mit dem Sprachenlernen einhergeht, auf eine Weise darzustellen, die sowohl nachvollziehbar als auch amüsant ist. Seine Beobachtungen sind nicht nur für Deutschlernende relevant, sondern sprechen auch allgemein die Herausforderungen an, die das Erlernen einer Fremdsprache mit sich bringt.

Darüber hinaus zeigt Twain in seinem Essay eine gewisse Wertschätzung für die deutsche Sprache, trotz der Schwierigkeiten, die sie zeitweise bereitet. Er erkennt an, dass die Komplexität der Sprache auch ihre Schönheit ausmacht und dass das Erlernen einer neuen Sprache eine bereichernde Erfahrung sein kann. Sein Humor ist nie böswillig, sondern eher eine liebevolle, wenn auch streckenweise spöttische Betrachtung der Eigenheiten der deutschen Sprache. Diese Balance zwischen Humor und Wertschätzung verleiht dem Text eine besondere Tiefe und macht dieses Werk zu einem zeitlosen Klassiker, der auch heute noch relevant ist. Ein absolutes Muss für jeden, der sich für Sprachen interessiert oder einfach nur einen unterhaltsamen Text genießen möchte!

Foto: KI-generierte Illustration, basierend auf einem gemeinfreien Porträt von Mark Twain (Public Domain, Wikimedia Commons).
Erstellt mit Unterstützung von OpenAI (DALL·E).

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